Der Think Tank für Digitale Ethik

Digitales Leben nach dem Tod

Wirkt es sich positiv auf den Trauerprozess aus, wenn ein geliebter Mensch nach seinem Tod dank künstlicher Intelligenz (KI) weiterhin hörbar oder sichtbar ist? Skepsis ist angebracht.

Natürlich ist es legitim, wenn sich eine schwerkranke Person wie Michael Bommer entscheidet, auch nach dem eigenen Tod ansprechbar sein zu wollen. Das ist ein zutiefst persönlicher Entscheid. Und vielleicht tut es der betroffenen Person sogar gut, noch ein solches Projekt realisieren zu können, bei dem die engsten Bezugspersonen involviert sind.

Doch was bedeutet es für die Angehören, wenn die geliebte Person gestorben ist und in einer digitalen Version weiterlebt? Zum Beispiel als Chatbot oder als Avatar. Jessica Heesen, Wissenschaftlerin an der Uni Tübingen, sagt dazu:

«Es könnte den Trauerprozess in der Weise verändern, dass wir ihn nicht abschliessen können und dass wir nicht anerkennen können, dass eine Person verstorben ist, sondern sie immer noch weiter an unserem Leben beteiligen.»

Zum Beispiel beschreibt die Schweizer Psychologin Verena Kast vier Phasen im Trauerprozess, welche ich beim unerwarteten Tod meines Vaters (es ist schon länger her) hautnah erlebte.

1️⃣ Nicht-Wahrhaben-Wollen. In dieser Phase ist es wertvoll, wenn die Trauernden nicht alleine gelassen werden – ausser, sie wünschen dies.

2️⃣ Aufbrechende Emotionen: Hier brechen Gefühle wie Wut, Schmerz und Zorn auf. Auch Aggressionen oder Schuldgefühle sind denkbar. Es ist wichtig, diese Gefühle zuzulassen. Hier sind Zuhören und Empathie im Umfeld wichtig.

3️⃣ Suchen und Sich-Trennen: Hier geht es um die innere Auseinandersetzung mit der verstorbenen Person und ihrem Tod. Es geht um das bewusste Abschied nehmen. Hier entscheidet sich, um man den nächsten Schritt geht (Ja zum Leben) oder weiter trauert. Im Extremfall ist professionelle Hilfe nötig.

4️⃣ Neuer Selbst- und Weltbezug: Der Tod des Angehörigen wird akzeptiert und man kann beginnen, das Leben ohne die verstorbene Person zu gestalten. Ein wichtiger Teil davon sind die Erinnerungen an die verstorbene Person.

🔎 Die Digital Afterlife Industrie wächst und sorgt mit einzelnen Produkten regelmässig für Schlagzeilen. Offen ist, wie sinnvoll ihre Angebote für die Hinterbliebenen wirklich sind (und wie vertrauenswürdig die einzelnen Anbieter sind). Im Moment ist das noch eine super kleine Nische und es wird viel über einzelne Beispiele und Prototypen gesprochen.

🔎 Ein Verbot ist auch hier keine Option, so meine Überzeugung. Wichtig ist, dass wir für die Phasen des Trauerprozesses sensibilisiert sind und Fachpersonen die Angehörigen auch in diesem neuen Bereich beraten, unterstützen, ja begleiten können.

Aktueller Anlass für meinen Post auf LinkedIn war dieser Beitrag bei zdf heute zum digitalen Leben nach dem Tod.

🖤 Dabei hat mich Julia Curty noch auf das Angebot des Vereins Hörschatz aus der Schweiz aufmerksam gemacht: Mit einem Hörschatz, einer sehr persönlichen Audiobiografie, hinterlassen früh verstorbene Eltern ihren minderjährigen Kindern eine Erinnerung für das ganze Leben.

Ausblick: Die Stiftung TA-SWISS hat eine Studie in Auftrag gegeben zum Thema «Sterben, Trauer und Weiterleben im Netz». Die Ergebnisse werden meines Wissens im Juli/August publiziert.

Bild: rivage auf Unsplash