Bei solchen Schlagzeilen bin ich immer sehr froh, meine eigene Chefin zu sein. Ich weiss nicht, ob ich heute bereit wäre, meine Expertise und mein Engagement in einem solchen Umfeld zur Verfügung zu stellen.
Wenn sich jemand im Firmennetzwerk anmeldet, wird bei Microsoft Teams offenbar automatisch der aktuelle Standort auf dem Firmengelände angezeigt. Dies kann sehr genau erfolgen, etwa in welchem Gebäude sich die Person gerade befindet. Wie genau der Standort ausserhalb des Firmennetzwerkes angezeigt wird, ist unklar.
Wofür soll das neue Feature gut sein? Die automatische Standorterkennung soll die Zusammenarbeit in hybrid arbeitenden Teams erleichtern, zum Beispiel spontane physische Sitzungen an einem Standort ermöglichen, wenn zufälligerweise alle Teammitglieder physisch vor Ort sind. Für mich macht das ehrlich gesagt nicht viel Sinn.
Wie plausibel ist diese Begründung? Aufgrund der Informationen im Artikel gehe ich davon aus, dass es um eine Kontrolle geht. Arbeiten die Mitarbeitenden auch wirklich, v.a. wenn sie nicht im Unternehmen sind? Selbst wenn die Aktivierung dieses neuen Features freiwillig ist, wie Microsoft betont: Zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitenden gibt es ein Machtgefälle. Freiwilligkeit ist in einem solchen Kontext sehr relativ.
Ist eine solche Überwachung rechtlich erlaubt? Roger Rudolph ist Professor für Arbeits- und Privatrecht an der Universität Zürich. Er sagt, aus organisatorischen Gründen dürfe ein Arbeitgeber während der Arbeitszeit den Ort erfassen. Das Gesetz verbietet aber die systematische Verhaltensüberwachung. Was erlaubt sei und was nicht, müsse im Einzelfall angeschaut werden, sagt Rudolph. Und wenn überwacht wird, müssen die Mitarbeitenden darüber informiert werden. Auch aus ethischer Sicht ist wichtig, dass Betroffene verstehen, was überwacht wird, warum und mit welchen Folgen.
Dieser Fall mit der automatischen Standorterkennung erinnert mich an eine andere Massnahme: die Einführung des «Productivity Score» von Microsoft vor einigen Jahren. Basierend auf der Anzahl an versendeten E-Mails oder Nachrichten, dem Teilen von Daten sowie der Nutzung von MS Teams wurde für jede Person ein «Produktivitäts Score» errechnet. Der Werte einzelner Personen und Teams konnte zusätzlich mit anderen verglichen werden. Wie aussagekräftig ist eine solche Leistungsbeurteilung? Was macht das mit den Mitarbeitenden? Ich thematisiere dieses Beispiel regelmässig in Studiengängen, bei denen ich als Dozentin im Einsatz bin.
Weshalb ist die Überwachung der Mitarbeitenden aus ethischer Sicht problematisch? Die ständige Kontrolle signalisiert Misstrauen. Das untergräbt die psychologische Sicherheit der Mitarbeitenden und wirkt sich negativ auf ihre Motivation aus. Gute Arbeit basiert auf Vertrauen, nicht auf Misstrauen. Ausserdem greifen Überwachungsmassnahmen tief in die Privatsphäre der Betroffenen ein. Sie haben ein berechtigtes Interesse, dass ihr Verhalten nicht ständig beobachtet und ausgewertet wird. Wer ständig beobachtet wird, verändert sogar sein Verhalten. Mitarbeitende verhalten sich nicht mehr aus freiem Willen, sondern angepasst.
Und vergessen wir nicht: Hier sind von A bis Z Menschen am Werk: Menschen bei Microsoft entscheiden, diese neue Funktion anzubieten. Und Menschen in den Unternehmen entscheiden, diese Funktion zu aktivieren. Weil sie den Mitarbeitenden misstrauen, scheint mir ein starkes Motiv dafür zu sein.
Vielleicht sollten Menschen mit einem solchen Menschenbild überlegen, ob sie als Führungskräfte und Entscheidungsträger:innen am richtigen Ort sind? Denn entweder fehlt es an Führungsqualitäten oder am Vertrauen in die eigenen Mitarbeitenden. Beides sind schlechte Voraussetzungen für eine Führungsrolle, so meine persönliche Überzeugung.
Wer mehr über dieses Thema wissen möchte:
Im Podcast DIETHELM & GENNER haben wir auch schon über «Big Brother am Arbeitsplatz» gesprochen. Wo beginnt mit der Datenerfassung für legitime Zwecke die Überwachung am Arbeitsplatz? Wir nennen Beispiele und diskutieren, was digitale Überwachung für das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin bedeutet.
Hinweis: Anlass für diesen Post ist dieser Beitrag bei SRF News (30.10.2025)